Vorausschauende Ampelschaltung wird möglich
Seit knapp 100 Jahren regeln Ampeln in Deutschland den Verkehr. 1924 nahm die erste in Berlin ihren Dienst auf. Die ersten Ampeln überhaupt sorgten 1914 im US-amerikanischen Cleveland noch dafür, dass sich Pferdekutschen nicht ins Gehege kamen. Diese Signalanlagen kamen noch mit den Farben Rot für Stopp und Grün für freie Fahrt aus. Moderne Lichtzeichenanlagen (LZA) hingegen, wie Ampeln im Amtsdeutsch bezeichnet werden, sollen nicht nur Unfälle vermeiden, sondern auch den Verkehrsfluss steuern und optimieren. Das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) in Lemgo arbeitet bereits an einer intelligenten Ampelsteuerung mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI). Dabei sollen selbstlernende Algorithmen in Kombination mit innovativer Sensorik künftig einen noch besseren Verkehrsfluss gewährleisten, für kürzere Wartezeiten sorgen und für Fußgänger mehr Sicherheit an Ampelkreuzungen sicherstellen.
„Grüne Welle“ war früher. Da musste man sich hauptsächlich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit halten, um mehrere hintereinander angebrachte Ampeln passieren zu können ohne anhalten zu müssen. Heute sind die Straßen chronisch überfüllt, Blechlawinen wälzen sich zäh durch die Städte, an den Kreuzungen stauen sich die Fahrzeuge. Vor allem in der Rush Hour bilden sich lange Warteschlangen, im Stop-and-go-Modus schieben die Autos von einer überfüllten Ampelkreuzung zur nächsten. So beschreiben die IOSB-Forscher selbst die Problematik, derer sie sich mit den nüchtern „KI4LSA“ und „KI4PED“ genannten Projekten annehmen wollen.
Smarte Lichtsignalanlagen
Dabei steht „KI4LSA“ für „Künstliche Intelligenz für Lichtsignalanlagen“ und „KI4PED“ für „KI-basierte Optimierung von Fußgängerüberquerungszeiten durch smarte Lichtsignalanlagen“. Als Reallabor dient in beiden Fällen ein Verkehrsbereich in der Mittelstadt Lemgo, welcher sich durch eine hohe Verkehrsbelastung und verschiedene wichtige Einflussfaktoren auszeichnet, wie das Bundesverkehrsministerium (BMDV) erläutert. Das Ministerium fördert die Forschungsvorhaben, deren Ziel bei „KI4LSA“ eine Optimierung des Verkehrsflusses ist sowie im Projekt „KI4PED“ die Entwicklung eines innovativen Ansatzes zur bedarfsgerechten Ansteuerung von Lichtsignalanlagen (LSA) für Fußgänger.
Es geht also um intelligente Ampelsteuerung und die soll mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) realisiert werden. Konkret ist geplant, dass selbstlernende Algorithmen, in Kombination mit neuer Sensorik, für einen besseren Verkehrsfluss sowie kürzere Wartezeiten sorgen und Fußgängern mehr Sicherheit an Ampelkreuzungen bieten. Bislang sind Ampelsteuerungen hingegen noch regelbasiert. Doch diese starren Regeln passen nicht auf alle Verkehrssituationen, wie das Fraunhofer-Institut verdeutlicht. Demnach bilden auch die vorhandenen Sensoren – in den Asphalt eingelassene Induktionsschleifen – die Verkehrssituation nur grob ab. Die Folge davon sind vermeidbare Lärmbelästigung und Abgasemissionen. Im Fußgängerbereich wiederum sollen geringere Wartezeiten erreicht sowie verkehrswidrige Überquerungen während der Rotphase vermindert werden.
Echtzeit-Sensorik statt starrer Steuerungsregeln
Bei ihren Ampelsteuerungsprojekten setzen die Fraunhofer-Forscher anstelle herkömmlicher Sensoren auf hochauflösende Kamera- und Radarsensorik, die das Verkehrsgeschehen präziser erfasst. Damit kann etwa die Anzahl der an einer Kreuzung wartenden Fahrzeuge spurgetreu in Echtzeit aufgenommen werden. Auch die durchschnittliche Geschwindigkeit der Autos und deren Wartezeit werden registriert. In Kombination mit KI ersetzt diese Echtzeit-Sensorik die „normalen“ starren Steuerungsregeln. Dabei verwenden die KI-Algorithmen des Deep Reinforcement Learning, wie die an dem Projekt beteiligten Wissenschaftler erläutern. Diese Methode des maschinellen Lernens eignet sich demnach besonders gut, um intelligente Lösungen für komplexe Steuerungsprobleme zu finden.
Hierfür wird die Künstliche Intelligenz mit realen Daten zum Verkehrsaufkommen an einer Lemgoer Kreuzung „gefüttert“, sodass ein realitätsgetreues Simulationsmodell entsteht, an dem die KI in unzähligen Wiederholungen trainieren kann. „Das Ergebnis ist ein per Deep Reinforcement Learning (DRL) trainierter Agent, ein Neuronales Netz, das die Ampelsteuerung darstellt“, berichtet der Projektleiter und Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB-INA, Arthur Müller, den Ansatz des DRL. Die so trainierten Algorithmen würden das beste Ampel-Schaltverhalten und die beste Phasenfolge ermitteln, um die Wartezeiten an der Kreuzung zu verkürzen, Fahrzeiten zu senken sowie den durch Staus entstehenden Lärm und die CO2-Belastung zu senken, stellt Müller fest. Ein weiterer Vorteil dieser Lösung: Die ermittelten Algorithmen lassen sich demnach ebenfalls auf benachbarte Ampeln, die sich in einem Verbund befinden, anwenden und skalieren.
In Simulationen der Verkehrssituation an der überlasteten Lemgoer Kreuzung kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass der Verkehrsfluss mit KI-unterstützten intelligenten Ampeln um 10 bis 15 Prozent verbessert werden könnte. Die Bestätigung dieser Resultate sollen nun Evaluationen im „Reallabor“ auf der Straße erbringen.
Ältere und Vulnerable profitieren
Von dem Projekt „KI4PED“ zur bedarfsgerechten Steuerung von Fußgängerampeln sollen laut IOSB besonders vulnerable Personen, wie Ältere oder Menschen mit Handicap, profitieren. Ziel dabei ist es insbesondere, Wartezeiten zu verkürzen und die Sicherheit an Ampelkreuzungen durch längere Überquerungszeiten zu erhöhen. Denn aktuellen Studien zufolge seien die Grünphasen für diese Personengruppen zu kurz, erläutert das Fraunhofer-Institut.
Verantwortlich dafür sind demnach die derzeit installierten Taster, meist kleine gelbe Kästchen, die weder Informationen über die Anzahl noch das Alter oder gar das Gebrechen der Passanten liefern. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz jedoch, die mit hochauflösenden sogenannten LiDAR-Sensoren kombiniert wird, welche per dreidimensionalem Laserscanning eine Personenerkennung und -verfolgung ermöglichen, wollen die Projektpartner die Steuerung der Fußgängerampeln automatisieren und die Überquerungszeiten automatisch an die Bedarfe der jeweiligen Passanten anpassen. Hierzu verarbeitet die KI die LiDAR-Daten in einem eingebetteten System in Echtzeit.
Mit dem bedarfs- und situationsgerechten Steuerungskonzept erhoffen sich die Forschungspartner, die Wartezeit bei hohem Personenaufkommen um 30 Prozent und die Anzahl gefährlicher verkehrswidriger Überquerungen um etwa 25 Prozent reduzieren zu können. Möglich macht diese Fortschritte in der Verkehrssteuerung – und Verkehrssicherheit – die Analyse großer Datenmengen mittels Künstlicher Intelligenz, das sogenannte Deep Learning. Damit lassen sich starre, regelbasierte Steuerungen ersetzen durch flexible, bedarfsangepasste und bedarfsgesteuerte Systeme.
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