Künstliche Intelligenz macht es möglich, dass historische Film- bzw. Fotoaufnahmen neuerdings in leuchtenden Farben sowie ohne das für sie typische Filmruckeln, technische Mängel und Alterserscheinungen „wiederauferstehen“. Da erscheinen Mitschnitte aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts plötzlich so, als hätte man die „Roaring Twenties“ direkt vor Augen. Oder Aufnahmen aus den Weltkriegen werden noch plastischer und potenzieren so das Grauen, das sie reportieren. Nach der entsprechenden Bearbeitung sind solche „Zeitzeugen“ zwar historisch nicht mehr korrekt, wie Kritiker bemängeln. Doch sie finden großen Anklang beim Publikum.
Erfolgreiche Filmemacher nutzen diese Technik daher unterdessen zunehmend, um Dokumentationen aufzufrischen. So wie es der mit seiner „Herr-der-Ringe“-Trilogie berühmt gewordene neuseeländische Regisseur Peter Jackson in seinem von Rezensenten hochgelobten Dokumentarfilm „They shall not grow old“ tat. Jackson verlieh dabei altem Filmmaterial mittels KI ein zeitgemäßes Erscheinungsbild, was vom Publikum positiv aufgenommen wurde.
Um historische Film- und Fotodokumente modernen Sehgewohnheiten anzupassen, widmen sich die Techniker zunächst dem Bewegungsrhythmus der alten Aufnahmen. Da diese vielfach mit einer geringeren Bildfrequenz gedreht wurden als heutige Produktionen, erscheinen menschliche Bewegungen häufig seltsam ruckartig, ungelenk bzw. teilweise sogar slapstickartig. Das mag für Streifen mit Charly Chaplin, Buster Keaton oder anderen Stummfilm-Komikern angemessen sein, für ernsthafte Dokus hingegen weniger. Um diesen „Zappeleffekt“ zu tilgen, verdoppeln Filmrestauratoren die Zahl der Einzelbilder eines Films, um so den Bewegungsrhythmus zu „normalisieren“.
Erheblich aufwendiger, aber auch erfolgreicher ist ein anderes Verfahren zum Anpassen von altem Filmmaterial an unsere heutigen Sehgewohnheiten, bei dem sogenannte Zwischenbilder künstlich erzeugt werden. Dazu bedarf es Künstlicher Intelligenz. Ihre künstlichen neuronalen Netze bzw. deren Fähigkeit des Maschinellen Lernens werden mit großen Datensätzen immer und immer wieder dahingehend trainiert, passende Zwischenbilder zu kreieren. Durch permanentes Abgleichen mit den vorhergehenden und nachfolgenden Originaleinzelbildern kann ein KI-System schließlich soweit gebracht werden, dass es die passsenden Zwischenbilder erzeugt, sogar ohne einen Film vorher gesehen zu haben. Maschinelles Lernen macht es so möglich, die Bildfrequenz und damit die Bewegungsabläufe automatisch an unser modernes Auge anzupassen.
Besonders augenfällig wird der Unterschied zwischen Film und Realität bei alten Aufnahmen durch die fehlende Farbe. Heutige Film- und Fotokünstler nutzen dies, um mit Schwarz-Weiß-Bildern bestimmte Effekte zu erzielen. Alte Dokumentarfilme wiederum können in ihrer Aussagekraft gewinnen, wenn sie farbig daherkommen. Deshalb wurden in der Film- und Fotobranche schon früh Schwarz-Weiß-Aufnahmen nachträglich von Hand koloriert. Solch großer Aufwand lässt sich heute ebenfalls mittels KI minimieren. Denn deren neuronale Netze können ebenfalls lernen, automatisch passende, möglichst realistische Farbinformationen in Fotos und Filme einzufügen. Diese nachträglichen Kolorierungen wirken zwar häufig immer noch etwas künstlich, kommen aber damit frühen Farbaufnahmen umso näher.
Bei solchen Prozessen wird der KI zunächst aufgegeben, Farbvorlagen in Grautöne umzuwandeln. Im Zuge dieser Korrekturen lernt die KI dann gleichzeitig, diese Grautöne wieder in Farben zurückzuverändern – ebenfalls im Wege des Maschinellen Lernens.
Tatsächlich büßen derart künstlich veränderte Film- oder Fotodokumente bis zu einem gewissen Grad ihren Anspruch auf Authentizität ein. Doch die „Verfremdungen“ mittels KI können erheblich dazu beitragen, die Aussagekraft solcher Aufnahmen nachträglich noch zu erhöhen. Und das kann möglicherweise durchaus im Sinne des frühen Fotografen oder Filmemachers sein.
Link: https://www.spektrum.de/news/wie-kuenstliche-intelligenz-historische-filme-koloriert/1872889
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